Über linksautoritäre Diskurse und mögliche Strategien aus der linken Krise Was das Framing „rechtsoffen“ alles verrät

Politik

Anlässlich des Offenen Briefs des „Schwarz-Roten 1. Mai“ an das Hamburger Bündnis „Solidarisch aus der Krise“[1] möchte ich mal ein paar „ketzerische“ Anmerkungen zum Rechts-Framing und zu der Kritik der Rechtsoffenheit machen, die sich die Autoritäre Linke zu eigen gemacht hat.

8. November 2022
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Die Hamburger IL hat sich der autoritären Polarisierung und Ausschlusseritis angeschlossen und fragt dann auch noch allen Ernstes, warum nur noch so wenig Leute zu deren Demos kommen[2]? Es mag euch überraschen, aber gemessen am Grad des Autoritarismus habt ihr euch für mich nach rechts verabschiedet!

Das erste Mal, das mir so eine Kritik begegnete, war ungefähr 1981, als mir in meiner Herkunftsstadt die älteren Genossen (ja, fast alles Männers…) erzählten, dass sie uns junge Punks, Anarchi-Hippies und andere Rebellische (vom System als „Jugendrevolte“ entwertet) anfangs (1980) nicht so recht einordnen konnten und tatsächlich darüber diskutiert hatten, ob wir irgendwie Nazis wären. Damals hab ich noch gelacht und das für einen bescheuertes Missgeschick gehalten. Leider scheint solcher Wahnsinn aber Methode zu haben.

2018 fiel mir das dann wieder auf, als innerhalb der linksradikalen Szene derselbe Kritikimpuls mit Wucht die Bewertung der Gilet Jaunes (GJ) in Frankreich als „rechts“ betraf. Entsetzt war ich dann aber 2020, als sich der gleiche Impuls gegen die aufkommende Bewegung der Corona-Massnahmekritiker*innen richtete, da ich hier die Beteiligten viel besser einschätzen konnte, als zuvor die GJ in Frankreich:

Die Grenzen, die mit dem Rechts-Framing insbesondere von einer sich autoritär gebärdenden Antifa gezogen wurden, sind die der eigenen marginalisierten Szene-Blase, die sich in ihrer überheblichen Selbstbezogenheit hermetisch von der Gesellschaft abgekapselt hat. Für eine Szene, die in arrogantem Habitus meint, genau zu wissen, wie der Hase zu laufen hat und allem, was nicht des konformistischen Szene-Sprech mächtig ist und nicht über (eher eingeschränktes) akademisches Wissen und eine gewisse in der Szene vorausgesetzte Reflektiertheitsattitüde verfügt, ist alles ausserhalb dieser engen Grenzen „rechts“ und Leute, die bereit sind, sich mit Menschen jenseits dieser Grenzen auseinander zu setzen, werden als „rechtsoffen“ ausgeschlossen und angegriffen.

Um es ganz klar zu sagen: Eine sich zum herrschenden System antagonistisch verhaltende Bewegung von vornherein als eine rechte auszuschliessen, ist allein für sich genommen schon konterrevolutionär, sie in der Folge davon auch noch rechten Rattenfängern zu überlassen und sie gar denen in die Arme zu treiben stellt einen antifaschistischen Bärendienst dar!

Eine Sophia hat im Oktober 2021 den sehr interessanten und inspirierenden Artikel „Was ist aus der Gelbwestenbewegung geworden? Oder: Über die zentrale Erfahrung des kritischen Vertrauens“ veröffentlicht[3], in dem sie als Beteiligte die GJ mitreissend von innen beschreibt. Ich fasse hier zitierend einige zentrale Aussagen zusammen, empfehle aber unbedingt den tollen Text vollständig zu lesen.

Sophia beschreibt von ihren ersten Beteiligungen an GJ-Demos und umfangreichen Erfahrungen aus vielfältiger Praxis. Sie macht die unglaubliche gesellschaftlichen Breite der Beteiligten anschaulich und beschreibt einen für hiesige Verhältnisse fast utopisch anmutende neue Szene, die sich (graswurzelartig) selbst ermächtigten und autonome, egalitäre Strukturen entwickelten.

Die waren eher proletarisch, kleinbürgerlich und “bis eben” politisch vollkommen unerfahren. Sie stellten, beängstigend für die Regierenden, beängstigend für viele Linke, beflügelnd für andere, eine führungslose, vollkommen offene, vorbehaltlose aufständische Bewegung dar, die sich die Freiheit nahm, für sich selber zu sprechen.

Sie erzählt wie ihre anfänglichen Zweifel an das erste der vier Prinzipien der GJ „Vertrauen in die kollektive Intelligenz“, in der Praxis überwunden wurden.

Immer wieder hatte ich gesehen, dass sie spontan auf der Strasse funktionierte, wenn wir uns bedrohlichen Situationen gegenübersahen: unsere kollektive Intelligenz. Sie funktionierte aber auch in Gesprächen, die sich zwischen Einzelnen, in kleinen Versammlungen, am Rande einer Demo und überall im Land entspannen: unsere kollektive Intelligenz aus all den individuellen Intelligenzen sehr unterschiedlicher Menschen, die sich zumeist bis vor kurzem noch nicht gekannt hatten. Und immer wieder habe ich und haben wir erlebt, zunächst ungläubig, dann erleichtert, ja euphorisch, dass man dieser kollektiven Intelligenz vertrauen konnte.

Dieses Vertrauen wurde auch eingesetzt, um mit problematischen Inhalten umzugehen, ein wie ich finde, höchst bemerkenswerter Ansatz:

Auf einen Aspekt, der mit dem des Vertrauens zusammenhängt, das heisst mit dem Vertrauen, alles miteinander klären zu können, uns/sich jedenfalls die Chance dazu zu geben, möchte ich unbedingt noch eingehen.

Es ist sehr viel falsch, oberflächlich, hämisch darüber berichtet worden, dass “die GJ” rechts seien, viele von ihnen Antisemit*innen. Tatsächlich gab/gibt es unter den GJ Rechte, Verschwörungstheoretiker*innen, Antisemit*innen, Rassist*innen, Islamophobe. All das war oder ist vermutlich unter ihnen ungefähr so verbreitet wie in der französischen Bevölkerung allgemein.

Auf abstruse verschwörungstheoretischen Auslassungen einer Frau in einem Email-Verteiler wurde sorgfältig dekonstruierend eingegangen, „ohne sie als Person anzugreifen“. Sophia meint:

Ich bin überzeugt, dass diese Art der Auseinandersetzung die einzige ist, die solche giftigen, menschenverachtenden und verblödenden Konstrukte, die in nicht wenigen Köpfen nisten, rechten wie linken – vielleicht – überwinden helfen kann.

(…) Menschen, die etwa in “den Migrant*innen” oder im “Islam” oder in “Rothschild” ein “Problem”, eine “Bedrohung” für “uns” sehen, womöglich das entscheidende Problem, werden an dieser Fiktion festhalten, die sie offensichtlich befriedigt und ihnen Orientierung liefert. Wenn sie und andere, die möglicherweise ähnlich denken oder “ahnen”, erleben, dass ihnen vertraute Argumentationsmuster präzise und ohne Herablassung dekonstruiert werden, dass andere Informationen, Argumente ins Spiel gebracht werden, haben sie die Wahl, daraus Schlüsse zu ziehen.

Das ist für mich antifaschistische und emanzipatorische Basisarbeit im besten Sinne!

Sophia geht aber auch auf die traditionellen gewerkschaftlichen und linken Organisationen und deren Verhalten gegenüber den GJ ein und skizziert sie treffend:

Sie versuchen allesamt, möglichst viele Unterstützer*innen/Wähler*innen/ Klienten*innen/Kunden*innen zu überzeugen. Sie kommunizieren mit einem bestimmten Ziel vor Augen von ihrem Innen nach aussen, zu den Anderen. Das Ziel definieren sie selber und versuchen dann, es möglichst vielen anderen zu „verkaufen“.

Im Kontrast dazu:

Die Versammlungen der GJ, alle ihre Äusserungen, richteten sich an alle und waren jederzeit offen für jede und jeden und ihre/seine Beiträge. Jede und jeder war eingeladen, sich nicht einem bereits definierten Projekt anzuschliessen, sondern Teil des laufenden Prozesses, des gemeinsamen Aufbegehrens, der gemeinsamen Beratung zu werden.

Um diesen kontinuierlichen, ergebnisoffenen Austausch über praktisch alles unter Einschluss von “aller Welt” zu ermöglichen, entwickelten wir bestimmte Wege, ihn zu organisieren, ohne dass sich irgendeine Kontrolle, Begrenzung oder Hierarchie einschleichen oder durchsetzen konnte.

(…) Es ist die Art von Aufstand, die sehr wohl ohne die Führung einer Avantgarde auskommt, die angeblich im Namen „des Volkes“ agiert, während sie tatsächlich auf die Übernahme, in irgendeiner Form, von Macht abzielt.

Die Kontrastierung macht deutlich und verrät uns, was ein Kernproblem sowohl der organisierten, wie auch der vorgeblich hierarchiefreien Linken ist: Sie wollen die Kontrolle und die Macht über die Diskurse und Aktionen, und wenn eine aufkommende Bewegung sich dem nicht unterordnet, wird sie sabotiert oder zum Feind erklärt.

Die GJ sind eine Bewegung, die untereinander und nicht übereinander kommuniziert, die dem Vereinzelungsprinzip „Teile und herrsche!“ des herrschenden Systems eine sich selbst regulierende Entwicklung persönlicher und politischer Beziehungen von unten (!) entgegen setzt.

Die „radikale“ Linke (und mit ihr die militante Antifa) leidet schon seit Jahrzehnten an einer es sich viel zu einfach machenden Praxis und sich an Oberflächlichkeiten orientierten „Analysen“, die mit „mangelnder Theoriearbeit bis hin zu Theoriefeindlichkeit“ einhergeht, wie es schon 1991 in der sog. Heinz-Schenk-Debatte festgestellt wurde und woran sich bis dato nichts geändert hat:

„Theorie dient nur noch zur Absegnung der zuvor schon beschlossenen Praxis. Dies führt zu einem reduzierten Theorieverständnis: Theorie ist nicht mehr das Beschreiben gesellschaftlicher Verhältnisse und daraus folgender Interventionsmöglichkeiten, sondern blosse Beschreibung der Machenschaften des Feindes.“[4]

Oberflächlich ist insbesondere die Übernahme des rechtskonservativen Kontaktschuldprinzips[5], das vor 50 Jahren dazu diente, Berufsverbote gegen Linke zu begründen. Oberflächlich ist, die Welt nur in Schwarz-Weiss zu sehen und nach einem vereinfachenden Freund-Feind-Schema aufzuteilen. Oberflächlich ist, die Erklärungen des Hamburger Forums übelwollend zu interpretieren oder nicht darauf einzugehen und komplett zu ignorieren. Oberflächlich ist, aus einer breiteren Gesprächsbereitschaft die Absicht einer Querfrontbildung zu halluzinieren, die im Wesentlichen nur von rechtsextremen Gruppen anvisiert wird. All diese Oberflächlichkeiten verraten erhebliche politische Wahrnehmungsstörungen. Simplifizierend ist auch eine Praxis, die sich nicht um eine Emanzipation von ausgrenzendem Bewusstsein bemüht, sondern nur gewaltförmig mit Stigmatisierung, Ausschluss oder direktem Angriff reagiert.

Wer die Gesellschaft zusammen mit den Menschen in ihr emanzipatorisch verändern will, muss zwangsläufig „rechtsoffen“ sein, wenn diese Gesellschaft in grossen Teilen (zurecht) rechts verortet wird. Alles andere geht in Richtung Nordkorea & Co.

„Wir sollten uns vertrauen“ (GJ)

DancingBull

Fussnoten:

[1] https://sr1m.blackblogs.org/home/solidarisch-aus-der-krise/offener-brief-2910/

[2]https://m.facebook.com/ilhamburg/photos/a.307379529976574/1083828718998314/?type=3&source=48&__tn__=EH-R

[3] https://gewerkschaftsforum.de/24-10-was-ist-aus-der-gelbwestenbewegung-geworden-oder-ueber-die-zentrale-erfahrung-des-kritischen-vertrauens/

[4] Nachzulesen in der 1992 von der Gruppe Fels veröffentlichten „Heinz-Schenk-Debatte“ S.10: https://eutopie.blackblogs.org/wp-content/uploads/sites/1485/2020/10/Heinz-Schenk-Debatte_-_Texte_zur_Kritik_an_den_Autonomen_-_Organisationsdebatte.pdf

[5] https://de.wikipedia.org/wiki/Kontaktschuld